Einige Monate sind vergangen, seit wir uns in Teil 2 der Ausgetobt-Recherche an einem aktuellen Überblick über die Göttinger Nazi-Clique versuchten. Es ist ruhiger geworden seitdem. Die Entwicklung, die wir damals darstellten – die Radikalisierung der Gruppe, zunehmende gewalttätige Angriffe auf Personen und Orte in Göttingen sowie ihre Vernetzung in die Kameradschaftsszene und in NPD-Kreise, kurz, die Entwicklung in Richtung einer klassisch militanten Neonazikameradschaft – ist zwar weiter fortgeschritten, zugleich haben öffentliche Aufmerksamkeit sowie antifaschistischer Widerstand der Nazi-Clique das Leben in Göttingen ungemütlich gemacht. Viele Kneipen erklärten Hausverbote, die Neonazis wurden an ihren Wohnadressen, ihren Arbeitsplätzen und in der Uni geoutet und wie man so hört, sind einige Autos und Wohnungen der Gruppe ebenfalls nicht unbeschadet geblieben. In einem breiten Bündnis hat Göttingen klar gemacht: In dieser Stadt ist kein Platz für Nazis!
Der große Paukenschlag war die antifaschistische Hausdurchsuchung im März diesen Jahres, die wir bereits in Teil 2 der Ausgetobt-Recherche erwähnten. Die Nazi-WG in der Reinhäuser Landstraße 44, in der damals noch Paul Sass, Kim Dietrichsen und Philippe Navarre wohnten, war damit am Ende und ein Teil der Neonazis aus der Stadt vertrieben. Wie wir mittlerweile wissen, hat dieser Teil Zuwachs bekommen und sich ins Göttinger Umland zurückgezogen. Das ist ein erster Erfolg, zur Ruhe gekommen sind sie dort aber nicht, sondern weiterhin politisch sehr aktiv und auch immer wieder in Göttingen zu sehen. Antifaschistische Arbeit muss deshalb weiter gehen – es gibt kein ruhiges Hinterland!
Der Kern der Nazi-Clique
Mit den neuen Wohnkonstellationen hat sich der Kern der Neonazi-Gruppe deutlich herauskristallisiert. Die neue Nazi-WG besteht aus Paul Sass, Kim Dietrichsen, Philippe Navarre und Felix Leonhard Hauser. Sie wohnen nun gemeinsam in der Bahnhofstraße 24 in 37154 Northeim, rund 20 Kilometer von Göttingen entfernt.
Zahlreiche rechte Aktivitäten belegen, dass sich der Kern der Clique auch in Northeim überhaupt nicht von seinen extrem rechten Einstellungen gelöst hat. So berichteten wir bereits über die Teilnahme von Hauser und Sass am sogenannten Leistungsmarsch der JN Niedersachsen (Junge Nationalisten, Jugendorganisation der NPD) am 30. März 2019. Im August zeigte sich das AfD-Mitglied Paul Sass als Teilnehmer an einer Demonstration der Partei in Hannover unter dem Motto „Es reicht!“. Hier trug er das Hochtransparent des AfD-Kreisverbands Northeim. Es zeigte sich wieder einmal, dass es offenbar kein Problem ist, als Nazi in der AfD aktives Mitglied zu sein. Sass‘ Aktivitäten, Kontakte und politische Position waren zu diesem Zeitpunkt längst öffentlich bekannt. Auch seine politische Nähe zu dem inzwischen aus der AfD ausgeschlossenen und in Göttingen lebenden Lars Steinke ist kein Geheimnis. Damit ist Sass jedoch nicht allein, auch Hauser zeigte sich zwischenzeitlich öffentlich mit einem T-Shirt der AfD.
Die Mitglieder der Nazi-Clique sind trotz Wohnort-Wechsel regelmäßig in Göttingen, wohin sie entweder mit dem PKW oder im Metronom fahren. Insbesondere Paul Sass scheint sein Semesterticket für die Zugfahrten sehr regelmäßig zu gebrauchen. Die Clique treibt es nach Göttingen, weil sie – manche mehr, manche weniger erfolgreich – ihr Studium fortzusetzen versuchen. Sass und Hauser verlängerten etwa am 21. September 2019 am Hauptcampus ihre Studienausweise für das Wintersemester. Sass, der bisher Lehramtsstudent war hat sein Studienfach gewechselt und probiert es nun mit Jura und Philosophie. Auch Navarre studiert ebenfalls weiterhin eifrig Medizin an der Göttinger Universität, absolviert Prüfungsleistungen und wird regelmäßig in der Universität gesichtet.
Ebenfalls zum Kern der Clique muss weiterhin Robert Krüger-Zechlin gezählt werden, der in regelmäßigem Austausch mit den Northeimern steht. Nach wie vor wohnt er unter der Adresse Otto-Wallach-Weg 8 in einem Mietshaus im Göttinger Ostviertel, studiert den Master „Steuerlehre“ und besitzt seinen silbernen Citroen mit dem Kennzeichen LDK-AA-53. In der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober trifft sich Krüger-Zechlin beispielsweise mit Sass und Hauser, nachdem diese nach einem Kneipenabend ihren Zug verpasst hatten. Am selben Abend bedroht Hauser einen Passanten und nötigt ihn aggressiv, Müll aufzuheben. Aus Göttingen verzogen ist im August hingegen Louisa Bredemeier. Ihren Job als Arzthelferin hatte sie offenbar aufgrund ihrer Nazi-Aktivitäten zuvor verloren.
Familie Diederichs aus Alfeld
Über antifaschistische Interventionen durfte sich auch die rechte Aktivistin Ann-Marie Diederichs freuen. So berichtete das Göttinger Tageblatt, dass die Göttinger Adresse der Aktivistin mehrfach antifaschistisch beschenkt worden sei. Ein Auszug von Diederichs ließ nicht lange auf sich warten. Auch ihr Studium hat sie abgebrochen. Genau wie ihr Bruder Albrecht Diederichs, der nach wie vor Kontakt zu einigen anderen Mitgliedern der Nazi-Clique pflegt, ist Ann-Marie Diederichs zurück zu ihrem Vater gezogen.
Die Hildesheimer Allgemeine Zeitung berichtete am 29. Juli 2019 ausführlich über Familie Diederichs, nachdem Antifaschist*innen die Gemeinde des Pfarrers Christian Diederichs mit Flugblättern über die Aktivitäten seiner beiden Kinder informierten. Er ist Pfarrer der St. Nicolai-Gemeinde in Alfeld.
Wie sehr Christian Diederichs politisch rechts einzuordnen ist, kann bisher nicht eindeutig gesagt werden. Neben der Tatsache, dass seine zwei Kinder trotz ihres jungen Alters seit mehreren Jahren in der extremen Rechten aktiv sind und er diese dennoch bei sich wohnen lässt, ist er in den letzten Jahren öfters unter anderem durch rechtslastige Kommentare im Internet aufgefallen. Er schrieb unter anderem: „Es ist blauäugig zu glauben, Europa müsse seine Grenzen öffnen, ohne den Zuzug klar zu begrenzen und zu kontrollieren.“ Diederichs sprach zudem 2014 als Gegenredner einer Veranstaltung zur Legalisierung der „Homo-Ehe“. Dass seine zwei Gören in die rechte Szene abrutschen, ist bei diesem Vater wohl wenig verwunderlich. Diederichs lebt im Eichenkamp 1 in 31061 Alfeld und fährt einen blauen VW-Passat mit dem Kennzeichen ALF-WH-39 sowie einen grünen VW-Bus mit dem auffälligen Kennzeichen ALF-HH-12.
Was macht eigentlich Lars Steinke?
Das ist eine gute Frage. Offenbar hat er mittlerweile doch endlich eingesehen, dass es mit der Parteikarriere (vorerst) nichts mehr wird. Sein öffentliche Hetze auf Social-Media-Plattformen hat er dennoch nicht eingestellt, privat treibt er sich gerne auf der Dating-Plattform Tinder herum. Kontakte zum übrigen Teil der Nazi-Clique scheint Steinke derzeit nicht zu pflegen, stattdessen versucht er offenbar mal wieder zu studieren. Zumindest wird er häufig in der Uni gesehen, unter anderem im Kulturwissenschaftlichen Zentrum (KWZ). Im September schrieb er zum Beispiel eine Klausur zu „Geldtheorie und Geldpolitik“. Steinke wohnt weiterhin An der Lutter 3 in 37075 Göttingen.