Die Göttinger Naziclique – Teil 1

Zwischen AfD, Identitären und klassischem Neonazismus
Junge rechte AktivistInnen in Göttingen

Göttingen ist rot. Das haben nicht nur Nazis von nah und fern immer wieder mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Ablehnung anerkannt, sondern spiegelt sich vor allem darin, dass sämtliche halbwegs ernsthaften Versuche neonazistischer Organisationen, hier Fuß zu fassen, in den vergangenen Jahren stets zurückgeschlagen wurden. Damit das so bleibt, braucht es nicht nur eine lebhafte antifaschistische Praxis und Kultur, sondern es gilt neue Organisierungsversuche frühzeitig zu erkennen und einzuordnen.

In Deutschland ist seit einiger Zeit ein Rechtsruck zu beobachten, der eine Bewegung in die politische Bedeutsamkeit gespült hat, die sich den Namen „Neue Rechte“ angeeignet hat. Das Aufkommen und der teils große Erfolg der AfD ist der sichtbarste Ausdruck dessen, aber auch daneben finden sich viele kleinere Grüppchen, etwa die Identitäre Bewegung, die im Fahrwasser der Rechtsaußen-Partei schwimmen. In Göttingen können wir uns glücklich schätzen, dass sich solche Auswüchse bisher vergleichsweise in Grenzen halten, aber auch hier sind wir vor dem Erstarken der Neuen Rechten mit Sicherheit nicht gefeit. Das zeigt sich unter anderem daran, dass es mittlerweile eine gute Handvoll neurechter Akteure in der Stadt gibt, die zunehmend politisch aktiv werden. Diese möchten wir euch im Folgenden mit ihrem politischen Werdegang vorstellen. Wir fokussieren uns dabei auf eine Gruppe junger AktivistInnen, von denen einige bereits mehrfach in Erscheinung getreten sind – Ober-Hampelmann Lars Steinke etwa – andere ihre Gesinnung aber bisher mehr oder weniger erfolgreich verbergen konnten. Die Gruppe eint, dass sie allesamt studieren (oder studiert haben) und sich vom stereotypen Bild des sozial abgehängten Neonazi mit Glatze und Gewalt-Neigung so nicht nur rein äußerlich, sondern sich auch hinsichtlich eines akademisch-intellektuellen Backgrounds unterscheiden wollen. Ideologisch bewegen sie sich dennoch in denselben Sphären, darüber kann auch ein elitäres Auftreten nicht hinwegtäuschen.

Die Trennung von „alter“ und „neuer“ Rechte ist vor allem eine Fiktion, die es den neurechten AkteurInnen ermöglicht, sich ein bürgerliches Image zu verschaffen. Wir machen diese Trennung nicht mit. Es ist wichtig, auf die besondere Strategie und das „neue“ Auftreten dieser rechten Strömung hinzuweisen, aber wir sagen in aller Deutlichkeit, dass auch die „neue“ Rechte ideologisch nicht weit entfernt von der „alten“ ist, wenn auch versucht wird, einen anderen Eindruck zu erwecken.

Die Gruppe der jungen, neurechten AkteurInnen fährt gemeinsam auf extrem rechte Demos, besucht zusammen Neonazi-Festivals und schickt sich eindeutige Nachrichten in den sozialen Netzwerken. Neben der Politik ist daraus auch ein Freundeskreis erwachsen, zum Teil werden auch Beziehungen gepflegt. Bisher ist der Aktivismus überschaubar: Hier und da werden Sticker der Identitären Bewegung verklebt, zunehmend finden sich jedoch auch rechte Tags und Parolen an den Wänden der Uni. Ein Großteil der politischen Betätigung findet (noch) online statt, doch nach und nach werden mehr Kontake in alle möglichen Lager der extremen Rechten geknüpft. Und ab und zu trifft man sich zum gemeinsamen Saufen und zieht mit Hitlergrüßen durch die Stadt.

Die Einordnung der Aktivisten ist nicht ganz einfach. Viele sind Mitglieder der AfD und ihrer Nachwuchsorganisation, der Jungen Alternative. Sympathien gegenüber der Identitären Bewegung haben alle. Gleichzeitig gibt es gefestigte Beziehungen zu lokalen Neonazi-Größen der alten Schule aus der Region, etwa zum NPD-Kader Thorsten Heise. Ob die Gruppe lieber rechts-konservativer AfD-Nachwuchs oder doch Möchtegern-Kameradschaft sein will, ist ihnen selbst wohl noch nicht klar. Zudem pflegen nicht alle Kontakte untereinander, doch sie eint ihr extrem rechtes Weltbild.

Jetzt ist die Zeit zu handeln! Ob Junge Alternative, Identitäre Bewegung oder was auch immer – das ist uns ganz egal. Für rechte Strukturen ist in Göttingen kein Platz. Erst vor wenigen Wochen waren gleich vier unserer ProtagonistInnen beim großen Neonazi-Festival „Schild und Schwert“ in Ostritz. Am Campus werden rechte Parolen gemalt. In der Innenstadt bewegen sich die AktivistInnen, als wüssten sie nicht, wo sie sind. Das hat jetzt ein Ende. Göttingen ist nicht eure Spielwiese! Wir fordern dazu auf, die neuen Neonazis wie die alten zu behandeln.

Antifa heißt Angriff! Göttingen bleibt rot!
Antifaschist*innen in Göttingen im Dezember 2018

 

PHILIPPE NAVARRE (24 Jahre), geboren am 01. Februar 1994, ist ehemaliger Beisitzer im Vorstand des niedersächsischen Landesverbands der JA. Er ist Student der Medizin an der Uni Göttingen und wohnt aktuell nahe des Universitäts-Klinikums in der Hermann-Rein-Straße 8b, Appartement 67, in 37075 Göttingen. Seine Telefonnummer lautet 0152-31882863, seine E-Mail-Adresse fuegos94@gmail.com.

Philippe Navarre mit realistischer Selbsteinschätzung

Navarres Aktivismus in der AfD-Jugend war stets begleitet von einschlägigen Kontakten und Aktionen in außerparteilichen extrem rechten Strukturen. Dies wurde etwa bereits vor zwei Jahren deutlich als die JA Göttingen unter Beteiligung Navarres eine Kundgebung gegen „die Antifa“ in der Stadt Goslar am Harzrand organisierte. Neben Navarre und seinem JA-Kollegen Lars Steinke waren am 16. Dezember 2016 so unter anderem die Neonazis Timo Büllesbach und Felix Wolf vom Kollektiv Nordharz zugegen. Das Kollektiv Nordharz war eine klar neonazistische Gruppe, die später im örtlichen Kreisverband der extrem rechten Kleinpartei „Die Rechte“ aufging.

Philippe Navarre und Robert Krüger-Zechlin am 17.06.17 in Berlin

Während Navarre also wenig Berührungsängste zu klassischen Neonazi-Strukturen kennt, ist er auch im neurechten Milieu neben der AfD aktiv. Auf einer Demonstration der Identitäten Bewegung (IB) am 17. Juni 2017 in Berlin trug er ein Schild mit sich auf dem stand: „JA + IB = <3“. Er setzte sich damit über einen parteiinternen Unvereinbarkeitsbeschluss in der AfD hinweg, der die Zusammenarbeit mit der IB untersagt (der von vielen AfD‘lern aber geflissentlich und ohne Konsequenzen ignoriert wird). Für AfD-Funktionäre aus der Region bestehen dennoch keine Berührungsängste. Am 19. November 2017, dem sogenannten Volkstrauertag, legte der Bundestagsabgeordnete Jens Kestner aus Northeim zusammen mit Mitgliedern der JA Niedersachsen, unter anderem mit Steinke und Navarre und Glenn Höpfner, in Hannover einen Kranz nieder, um den toten Nazis und anderen Deutschen zu gedenken. Am 2./3. November 2018 besuchte Navarre das von Thorsten Heise organisierte „Schild und Schwert“-Neonazi-Festival im sächsischen Ostritz. Auch in sozialen Netzwerken legt er seine Gesinnung offen zu Tage, beispielsweise kommentiert er mit deutlichen KZ-Anspielungen.

Philippe Navarre kommentiert auf dem Profil von Lasse Richei mit KZ Anspielungen

Philippe Navarre (2.v.l.), Glenn Höpfner (3.v.l.), Jens Kestner (5.v.l.) und Lars Steinke (4.v.r.) am 19.11.17 in Hannover

 

Leibesübungen à la Lars Steinke

Das bekannteste Mitglied der JA Göttingen stellt jedoch ohne Zweifel LARS STEINKE (25) dar. Er wurde am 23. Februar 1993 geboren und wuchs im Großraum Osnabrück auf. In Göttingen studierte er zunächst Biologie, wechselte dann aber – ebenso mit mäßigem Erfolg – in die Politikwissenschaft. In Biologie sei ihm nach eigener Aussage „zu wenig Genetik“ behandelt worden. Aus seiner Wohnung in der Göttinger Südstadt musste Steinke kürzlich ausziehen, nachdem seine Vermieterin ihm aufgrund seiner Gesinnung und gelegentlicher antifaschistischer Hausbesuche gekündigt hatte. Mittlerweile hat er jedoch eine neue Bleibe in Göttingen gefunden. Er residiert seit kurzem An der Lutter 3 in 37077 Göttingen. Erreichbar ist er aber nach wie vor unter 0152-53122283 und steinke.lars@web.de. Steinke versuchte seit mindestens 2014 Strukturen der AfD und ihrer Nachwuchsorganisation mit aufzubauen und ideologisch zu festigen. Er war nicht nur im lokalen AfD-Kreisverband aktiv und unterstütze deren Wahlkampf, sondern auch an der Gründung der JA-Hochschulgruppe in Göttingen federführend beteiligt, für die er auch bei den Wahlen zum Studierendenparlament kandidierte. Steinke gilt als Rechtsaußen in der AfD und steht inhaltlich dem thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke nahe. Trotzdem (oder deswegen?) schaffte er es zwischenzeitlich unter anderem zu einem Job in der niedersächsischen AfD-Landtagsfraktion und zum Vorsitzenden der JA Niedersachsen. Nachdem er im Sommer 2018 den Hitler-Attentäter Stauffenberg einen „Verräter“ genannt hat, steht seine Parteikarriere aktuell vor dem Ende, seine Posten musste er bereits räumen.

Lars Steinke bei einer AfD Demonstration unter dem Kundgebungs-Motto „Merkel muss weg“am 21.04.18 in Salzgitter

Trotz seiner Fassade als aufstrebender Nachwuchspolitiker ist Steinke jahrelang mit klassisch neonazistischen Kreisen vernetzt und in ihnen organisiert. Er war Aktivitas der Göttinger schlagenden „Burschenschaft Hannovera“, die in der Vergangenheit unter anderem Veranstaltungen mit „Junge Freiheit“-Autoren organisierte. Nach öffentlicher Empörung über sein politisches Wirken wurde er dort 2016 herausgeworfen. Vom 29. Oktober 2015 bis zum 24. Januar 2016 meldete Steinke zehn Kundgebungen für den sogenannten „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen (FKTN)“ (später „Volksbewegung Niedersachsen“) an. Auf den Kundgebungen im Pegida-Stil mit kontinuierlicher Neonazi-Beteiligung hielt er völkisch-nationalistische Redebeiträge. Nach wachsendem Druck durch eine zunehmende Aufmerksamkeit auf die anwesenden NPD-Mitglieder trat Steinke als Anmelder zurück und nahm nicht mehr an den Kundgebungen teil. Sein Verbinderfreund aus der Burschenschaft Hannovera, Jan-Philipp Jaenecke, ersetzte ihn jedoch sofort als Anmelder der Kundgebungen.

Lars Steinke mit Philippe Navarre

Auch zur Identitären Bewegung pflegt Steinke beste Kontakte, die hier nur ausschnittsweise dargestellt werden können. In Göttingen plante er unter anderem im März 2016 einen Kongress mit dem österreichischen IB-Leiter Martin Sellner abzuhalten, nach antifaschistischen Recherchen und öffentlicher Empörung fehlten ihm aber schnell die Räumlichkeiten dazu. Am 11. Juni 2016 nahm er an einem Groß-Aufmarsch der IB in Wien mit circa 1000 TeilnehmerInnen teil. Dabei beteiligte er sich an einem Durchbruchsversuch gegen eine Polizeikette. Er reiste mit anderen IB- und JA-Mitgliedern aus Hildesheim gemeinsam an. Bereits eine Woche später war er dann wie Navarre beim Identitären-Aufmarsch in Berlin anwesend. Auch im „Identitären-Hausprojekt“ in Halle/Saale war Steinke am 11. Juli 2017zu Gast. Er schrieb außerdem Artikel für das Arcadi-Magazin, ein „Life-style-Magazin“ aus IB-Kreisen, sowie das neurechte Jugendmagazin „Blaue Narzisse“.

 

Neben diesen „alten Hasen“ im Göttinger neurechten Milieu, tauchten in den vergangenen Monaten einige neue Aktivisten in diesem Sumpf auf. „Neu“ ist hierbei mit Vorsicht zu genießen: Zum Teil sind auch diese Personen schon viele Jahre in extrem rechten Kreisen unterwegs. Es scheint, als ob sie sich in Göttingen noch unbeobachtet fühlen und deshalb recht freizügig in der Stadt bewegen.
Überraschung, ihr Trottel, wir wissen, wer ihr seid!

 

Paul Sass im Juli 2018

PAUL SASS (21), geboren am 11. Dezember 1997, stammt aus dem niedersächsischen Hildesheim. Er ist ehemaliges Mitglied der dortigen Gruppe der IB sowie der IB-Untergruppierung „Kontrakultur Halle“. Während seiner Zeit in Halle studierte er für einige Semester Geschichte und Philosophie an der Universität Halle-Wittenberg. Im Sommer 2018 zog er nach Göttingen. Dort studiert Sass seit dem Wintersemester 2018/19 die Fächer Deutsch und Biologie auf Lehramt. Er wohnt in der Reinhäuser Landstraße 44, 37083 Göttingen in einer Wohngemeinschaft. Seine E-Mail Adresse lautet paul.sass@gmx.de.

Seine Aktivitäten im extrem rechten Milieu sind vielfältig. Obwohl er niemals in Sachsen gewohnt hat und Mitglied des AfD Landesverbandes Niedersachsen ist, bezahlte Paul Sass in der Vergangenheit einen Betrag von 40 Euro auf das Konto des sächsischen Landesverbandes der AfD-Jugendorganisation JA. Über Gründe lässt sich bislang nur spekulieren, womöglich geht es darum, Mitgliedschaften zu verschleiern und Ausschlüssen und Verboten zuvor zu kommen. Auch seine Mitgliedschaft im Verein „la familia Fightclub e.V.“ in Halle lässt sich Sass einige Euros kosten. Das Kampfsport-Gym verfügt über Verbindungen zu neonazistischen Fighting Teams.

Der angehende Lehrer (!) Sass ist Abonnent der neurechten Zeitschrift „Werkkodex“, die von Baldur Landogart, einem engen Vertrauten des NPD-Bundesvorstands Thorsten Heise, herausgegeben wird. Auch beim „Antaios-Verlag“ des neurechten Verlegers Götz Kubitschek ist er bereits Kunde gewesen, ebenso wie beim „Libreria Lozana“-Buchhandel, der auf Militärgeschichte und den Nationalsozialismus spezialisiert ist. Letztere Sendung erhielt Sass über den Umweg des Verlags „Nordland“ von Thorsten Heise. Hat ihm der führende Neonazi-Kader in der Region das Päckchen womöglich persönlich überreicht? Dafür spricht, dass auch mindestens eine Überweisung von Sass‘ Konto an Malte Ahlbrecht, einem weiteren jungen Neonazi aus dem Umfeld Heises, nachzuweisen ist.

Paul Sass (1.v.l.), Lars Steinke (2. v.r.) und
Robert Krüger-Zechlin (1.v.r.)in Frankreich

Im Sommer 2017 gehörte Sass einer IB-Delegation aus Deutschland an, die den extrem rechten „Front National“ während des Wahlkampfes in Frankreich unterstützte. Auch Lars Steinke sowie das Göttinger JA-Mitglied Robert Krüger-Zechlin waren Teil dieser Delegation. Sass verfügte offenbar schon vor seinem Umzug nach Göttingen über Kontakte in die Stadt. So fiel er auch bereits am 22. September 2017 in der Nachbarstadt Northeim als Teilnehmer einer AfD-Kundgebung auf. Redner war dort unter anderem Björn Höcke, dessen Ausführungen Sass gespannt lauschte.

Nicht der einzige Hitlergruß des
Lehramtsstudenten Paul Sass

Am 29. Juli 2018 war Paul Sass, nun in Göttingen wohnend, an einem neonazistischen Vorfall in der Innenstadt beteiligt. Im Beisein seiner Kameraden Felix Leonhard Hauser und Marius Neumann betrank sich Sass über Stunden unter anderem auf dem Wilhelmsplatz sowie in der „Nauti-Bar“. Anschließend zogen die drei schwer alkoholisierten Männer pöbelnd durch die Straßen. In der Weender Straße zeigten sie mehrfach den Hitlergruß, bewarfen am Boden sitzende Personen mit Geldstücken und forderten Umstehende auf, sich „mal zum Führer zu positionieren“. Der Vorfall reiht sich ein in eine Vielzahl von Aktivitäten im extrem rechten Milieu, an denen Paul Sass alleine in diesem Jahr beteiligt war. Dabei stellt auch er eine organisatorische und ideologische Schnittstelle zwischen verschiedenen rechten Strömungen dar.

Paul Sass (2.v.r.) in Ostritz am 21.04.18

Bildmaterial belegt, dass Sass am Wochenende des 20./21. April 2018 am von Thorsten Heise organisierten Rechtsrock-Festival „Schild und Schwert“ im sächsischen Ostritz teilnahm. Am 12. Juni 2018 beteiligte er sich außerdem am Stammtisch der JA Göttingen in der Kneipe „Kleiner Ratskeller“ in der Jüdenstraße. Gemeinsam mit Lars Steinke und IB-Kumpels (u.a. Glenn Höpfner) fungierte Sass zudem am 17. Juni 2018 als Ordner auf einer AfD-Demonstration in Salzgitter.

In der Nacht vom 25. auf den 26. August 2018 erhielten nach Angaben des „a.i.d.a.“-Archivs München 15 Personen in einer Wohnung im Münchner Stadtteil Johanneskirchen Strafanzeigen wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, nachdem sich Nachbar*innen über rechte Gesänge und Parolen beschwert hatten. Einige Stunden später gegen drei Uhr in der Früh zeigten mehrere Männer aus eben dieser, bereits polizeilich auffällig gewordenen Gruppe im Stadtbezirk Schwarnthalerhöhe öffentlich den Hitlergruß und beleidigten eine Person mit tschechischer Staatsbürgerschaft fremdenfeindlich. Erst durch das Eingreifen von Passant*innen konnte ein körperlicher Übergriff verhindert werden. Wieder wurden extrem rechte Parolen gegrölt. Sass war einer der Täter und wurde erneut von der Polizei aufgegriffen. Die mit braunen Hemden uniformierte Männergruppe verklebte zudem mutmaßlich eine größere Anzahl an Stickern des neonazistischen Projekts „FSN/The Revolution“.

In der Nacht vom 25. auf den 26. September 2018 fiel Sass gemeinsam mit Philippe Navarre und Robert Krüger-Zechlin besoffen in mehreren Kneipen auf. Nach ausschweifenden Gesprächen über Rassentheorien und „die Juden“ endete der Abend für die drei bei Hitlergrüßen in der Kneipe „Bierwirtschaft“ (BiWi).

Paul Sass mit Weste der „arischen Bruderschaft“ auf dem
„Schild und Schwert“ -Festival am 02.11.18 in Ostritz

Auch mit Semesterbeginn kommt Sass nicht zur Ruhe. Am ersten Novemberwochenende 2018 nahm er erneut in Ostritz am Neonazi-Festival „Schild und Schwert“ teil. Auf Fotos trägt er eine Weste des „Sicherheitsdienst Arische Bruderschaft“. Die „Arische Bruderschaft“ ist ein elitärer Zirkel von Führungspersonen aus der freien Kameradschaftsszene.

 

 

Paul Sass (mitte) und Lars Steinke (1.v.r.) als
Ordner bei einer AfD Demonstration
am 17.06.18 in Salzgitter; auch anwesend: Glenn Höpfner (2.v.l)

Robert Krüger-Zechlin (1.v.l.), Glenn Höpfner (2.v.l.), Philippe Navarre
(3.v.l.) und Paul Sass (4.v.l.) am 16.09.18 in Köthen

 

Felix Leonhard Hauser und sein Hund Baldur

Auch FELIX LEONHARD HAUSER war Teil der Gruppe, aus der am 29. Juli 2018 in der Göttinger Innenstadt mehrfach der Hitlergruß gezeigt wurde. Hauser (23), geboren am 04. März 1995, kommt ursprünglich aus Essen. Er studiert derzeit Forstwissenschaften an der Uni Göttingen und war eine zeitlang Mitglied in der Burschenschaft Holzminda.

Vor seinem Umzug nach Göttingen lebte er kurze Zeit in Dresden. Dort gipfelte sein politischer Aktivismus in neurechten Kreisen in einer Beziehung mit Freya Honold vom örtlichen Ableger der IB, die als Autorin des identitären antifeministischen Blogs „radikal feminin“ bekannt ist.

Felix Leonhard Hauser posiert mit Gewehr im Garten

Seine bundesweite Vernetzung innerhalb identitärer Strukturen belegt zudem seine Teilnahme an einer medienwirksam inszenierten „Pseudo-Blockade“ der CDU-Zentrale in Berlin durch die IB. Erschreckender wirkt aber fast noch der familiär-persönliche Hintergrund Hausers. Dieser ist nicht nur Besitzer eines Waffenscheins, sondern hat offenbar ein gewaltiges Faible für Schusswaffen aller Art. Dieses Interesse teilt er ebenso wie seine politische Gesinnung mit seinem Vater Gerhard Hauser sowie seinen Brüdern Tilman Hauser und Clemens Hauser, die ebenfalls im Spektrum der Neuen Rechten und darüber hinaus aktiv sind. Alle vier fallen in ihren Social-Media-Profilen durch Affinitäten zur IB, zur NPD und zu zahlreichen anderen extrem rechten Gruppen auf,etwa der „Europäischen Aktion“, einem internationalen Zusammenschluss von HolocaustleugnerInnen. Tilman Hauser posiert online beispielsweise mit einer schwarzen  Fahne, auf der das Logo verdeckt wurde – ein Hinweis auf seine Zugehörigkeit zum extrem rechten Freibund, eine völkische Jugendorganisation, die ebenfalls über gute Kontakte in die HolocaustleugnerInnenszene verfügt. Aufgrund der starken Familienbande der Hausers kann man berechtigterweise davon ausgehen, dass auch Felix Leonhard sich in diesem Milieu bewegt. So lässt sich beispielsweise nachweisen, dass Hauser das „Schild und Schwert“-Festival am 3. November 2018 in Ostritz besuchte.

Felix Leonhard Hauser fährt außerdem einen weißen Mitsubishi Pajero mit dem Kennzeichen SLF-FJ 196. In der Nähe des thüringischen Saalfelds, wo das Auto zugelassen ist, liegt zudem ein Forst, wohin Hauser mit seiner Familie regelmäßige Fahrten unternimmt und seine Gewalt-Neigung bei Schießübungen auslebt.

 

 

Felix Leonhard Hauser beim „Schild und Schwert“-Festival
am 03.11.18 in Ostritz

Felix Leonhard Hauser
mit Pistole

 

Marius Neumann (ohne Hund, dafür mit Bier)

Der dritte junge Mann, der am 29. Juli 2018 gemeinsam mit Sass und Hauser in der Göttinger Innenstadt abhitlerte, ist MARIUS NEUMANN. Dieser ist wie Hauser ebenfalls Student der Forstwissenschaften an der Uni Göttingen und geht ebenfalls gerne jagen.  Neumann ist zugleich der bislang unauffälligste Teil des Trios. Eine wirklich nennenswerte öffentliche Vergangenheit in extrem rechten Kreisen scheint er im Gegensatz zu den zwei anderen nicht zu haben – aber auch Neumann unterhält bereits einige Kontakte zu jungen, rechten Aktivisten und bewegt sich zunehmend in neurechten Kreisen.
Neumann, du Wurst, das ist ein Warnschuss! Wenn du dir nicht neue Freund*innen suchst, kommen da noch mehr Infos!

 

Louisa Bredemeier biem „Schild und Schwert“-Festival am 03.11.2018 in Ostritz

LOUISA BREDEMEIER ist ebenfalls keine Unbekannte in der Göttinger rechten Szene. Sie wohnt bei ihrer Mutter in der Adolf-Sievert-Straße 20 in 37085 Göttingen. Die Ex-Freundin der ehemaligen AfD-Nachwuchshoffnung Lars Steinke besuchte mit diesem bereits im Jahr 2016 einige rechte Kundgebungen und Demonstrationen.

Louisa Bredemeier mit Lars Steinke

Am 05. März 2016, am 17. April 2016 sowie am 17. Januar 2017 besuchte sie Kundgebungen des FKTN in Bad Lauterberg, Dransfeld und Duderstadt, allesamt in der Region Göttingen. Weitere Teilnahmen sollten folgen. Auch mit dem bereits erwähnten Neonazi-Kader Tommy Frenck scheint sie bekannt zu sein. So besuchte sie am 15. Mai 2016 ein Rechtsrock-Konzert auf dessen Grundstück im thüringischen Kloster Veßra. Sie war dabei in Begleitung von Neonazi und FKTN-Mitglied Pascal Zintarra aus der Region Duderstadt bei Göttingen und Mitgliedern der extrem rechten Terrorzelle „Combat 18“, die den bewaffneten Arm des Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“ bildet. Am 21. Februar 2017 war sie auf einer sogenannten Anti-Merkel-Demonstration in Berlin, am 01. April 2017 wieder auf einer Kundgebung des FKTN in Northeim, der sich nun bereits „Volksbewegung Niedersachsen“ nannte. Am 1. Mai 2018 fiel sie außerdem auf, wie sie im Dirndl gekleidet mit Philippe Navarre und weiteren Personen mit einem Bollerwagen durch die Göttinger Innenstadt zog und dabei von der Gruppe laut Lieder u.a. von der Rechtsrockband Stahlgewitter mitgesungen wurden. Am 2./3. November 2018 besuchte auch Bredemeier das große Neonazi-Event „Schild und Schwert“ im sächsischen Ostritz. Auch nach dem Ende der Beziehung zu Lars Steinke ist sie also keinesfalls aus der rechten Szene ausgestiegen, sondern hat sich im Gegenteil eher weiter vernetzt und politisch radikalisiert. Bredemeier brüstet sich auf Instagram zudem mit einem Bild ihres Großvaters in Wehrmachtsuniform.

 

 

Ein weiterer Teil dieser Naziclique ist ALBRECHT DIEDERICHS (20). Er wurde am 22. Juli 1998 geboren und ist im väterlichem Haushalt am Eichenkamp 1, in 31061 Alfeld aufgewachsen, wo er am örtlichen Gymnasium sein Abitur absolvierte. Aktuell studiert Albrecht Diederichs Jura an der Uni Göttingen, wohnt bei seinem Vater und pendelt von dort nach Göttingen.

Ob sein Vater, von Berufswegen Pastor in Alfeld, sich gelegentlich bei seinem Albrecht unter 0160-2640417 oder gar per E-Mail an albrecht-diederichs@gmx.de meldet, um zu erfahren, ob dieser noch auf Gottes Wegen wandelt? Weiß Papa, dass der Kleine schon seit dem 18. Februar 2015 Mitglied beim AfD-Nachwuchs in der JA Niedersachsen ist?

Albrecht Diederichs (l.)
und Felix Leonhard
Hauser (r.) mit Walther
Grottendieck

Aus seiner extrem rechten Gesinnung macht Albrecht Diederichs jedenfalls kein Geheimnis. Am 10. Juni 2018 postete er ein Bild, auf dem er gemeinsam mit Felix Leonhard Hauser und einem ehemaligen Wehrmachtsoldaten namens „Walther Grottendieck“ stolz in die Kamera grinst. Der „Zeitzeuge“ habe den Nachwuchs-Nazis von den „Schrecken des Krieges“ und seiner Tätigkeit als MG-Schütze berichtet. Bereichert wird der NS-Kitsch durch weitere Aufnahmen des alten Wehrmachtsoldaten, die ihn unter anderem mit weiteren Nazis auf einem Panzer zeigen.

Björn Höcke (m.) und
Albrecht Diederichs (r.)

Ohnehin sammelt Diederichs gerne „Promi“-Fotos. Noch während seiner Schulzeit posierte er gemeinsam mit Björn Höcke für ein Foto beim Bundeskongress der JA am 31. Mai 2015.

In jüngerer Vergangenheit war vermutlich auch Diederichs an der Sauftour mit Nazi-Parolen mehrerer IB-Aktivisten am 25. August 2018 in München beteiligt, bei der auch Paul Sass dabei war. In einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ war im Nachhinein von einem 20-jährigen, in Alfeld aufgewachsenen Studenten die Rede.

 

Dass Diederichs bereits seit vielen Jahren auf rechten Pfaden wandelt, zeigt ein Blick in sein Abi-Jahrgangs-Heft aus dem Jahr 2017. „Albi“, wie er sich dort nennt, möchte später Rechtsanwalt und Familienvater sein und hört gerne die Nationalhymne, steht in seinem Steckbrief geschrieben. In der Rubrik Lebensmotto heißt es: „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird der Widerstand zur Pflicht.“ Dabei handelt es sich um die Abwandlung eines Zitats von Bertolt Brecht, die im extrem rechten Lager gerne als Demo-Parole oder als Aufschrift auf Transparenten verwendet wird und der eigenen politischen Praxis Rechtfertigung verleihen soll. Auch die Kommentare seiner Mitschüler*innen zu seiner Person sprechen Bände. Diederichs wird dort unter anderem eine „fragliche politische Einstellung“, ein Faible für „Springerstiefel und Bomberjacke“ und Engagement für die AfD nachgesagt. Er sei der „rechteste Mensch, den man so kennt“, schreibt jemand.

Am 26. November 2018 beteiligte sich Albrecht Diederichs gemeinsam mit Paul Sass, Philippe Navarre, Robert Krüger-Zechlin und zwei weiteren Frauen an einer gemeinsamen Sauftour auf dem Göttinger Weihnachtsmarkt und in den Kneipen „Trou“ und „Bierwirtschaft“ (BiWi). Lautstark zeigten sie ihre extrem rechte Weltsicht und Navarre ließ seinen irren Mordfantasien freien Lauf. So sprach er davon, „jemandem die Kehle durchschneiden und dessen Blut zu trinken zu wollen“. In der BiWi zeigten die Beteiligten mehrfach den Hitlergruß. Anschließend rissen Teile der Gruppe Plakate am Hausprojekt in der Roten Straße ab und klauten ein antifaschistisches Transparent von der Fassade eines gegenüberliegenden Cafés.

 

Robert Krüger-Zechlin

Sowieso verbringt Albrecht Diederichs gerne Zeit mit ROBERT ALEXANDER JOHANN-GEORG KRÜGER-ZECHLIN (27), geboren am 08. Februar 1991. Der Master-Student an der Uni Göttingen wohnt alleine im Otto-Wallach-Weg 8 in 37075 Göttingen. Er fährt einen silbernen Citroen mit dem Kennzeichen LDK-AA-53. Krüger-Zechlin ist Mitglied der JA Niedersachsen und bereits einige Jahre politisch aktiv. Am 17. Dezember 2016 war er auf der Weihnachtsfeier der JA Braunschweig anwesend. Philippe Navarre zählt zu seinen besten Freunden, auf dessen Geburtstagsfeier war er unter anderem am 01. Februar 2017 zu Gast. Gemeinsam besuchten beide die Demonstration der IB in Berlin am 17. Juni 2017 in Berlin, wo auch Krüger-Zechlin für ein Foto mit einem Schild mit der Aufschrift „JA+IB“ posierte. Er ist zudem ein Vertrauter Lars Steinkes und besuchte und unterstützte gemeinsam mit diesem und Paul Sass den Wahlkampf des extrem rechten „Front National“ in Frankreich im Sommer 2017.

Robert Krüger-Zechlin bei einer IB Demonstration am 17.06.17 in Berlin

Robert Krüger-Zechlin (am Handy) Glenn Höpfner (2.v.l.) und Philippe Navarre
am 16.09.18 in Köthen

Am 16. September 2018 nahm Krüger-Zechlin in Begleitung von Navarre und Sass und weiterer Aktivisten (u.a. Glenn Höpfner aus Hannover) an rassistischen Demonstrationen in Köthen teil. Nach einer spontanen Mobilisierung in der bundesdeutschen rechten Szene nach dem Tod eines Deutschen in der Kleinstadt in Sachsen-Anhalt kamen dort hunderte Neonazis unterschiedlicher Spektren zusammen – von AfD über IB bis freie Kameradschaftsszene.

Am Abend des 25. September 2018 saß Krüger-Zechlin mit Navarre und Sass in der Göttinger Kneipe „Ade!“ bei einigen Bieren zusammen. Schnell drehte sich das Gespräch der Bierrunde um Rassentheorien, Europa und seine „Völker“, die es zu „verteidigen“ gelte. Krüger-Zechlin erklärte dabei, Juden seien „auch eine Rasse“ und wollten als solche bezeichnet werden. Als die Gruppe Witze über das KZ Mittelbau-Dora machte, wurden sie von einem weiteren Kneipenbesucher auf ihr Verhalten angesprochen. Paul Sass sprang auf und drohte: „Halt die Schnauze, du Fotze!“ Der Wirt des „Ade!s“, auf dem rechten Ohr offenbar mehr als taub, maßregelte daraufhin nicht etwa Sass, sondern den anderen Gast: „Du setzt dich jetzt hier hin und trinkst in Ruhe dein Bier aus und störst nicht die anderen Gäste.“ Das Gespräch der Neonazi-Gruppe drehte sich im weiteren Verlauf um „Rassen“, die sich „nicht vermischen“ sollten, und eine „Artenvielfalt“, die zunehmend „verloren“ ginge. Später kehrten die drei in der „Bierwirtschaft“ (BiWi) ein. Auch dort gerieten sie mit einem Gast aneinander, nachdem wieder einmal mehrfach der Hitlergruß gezeigt wurde.

Auch am 25. Oktober 2018 ging Krüger-Zechlin in Gesellschaft seiner neurechten FreundInnen saufen. Gemeinsam unter anderem mit Philippe Navarre, Paul Sass und dem Göttinger Verbindungsstudent und IB-Sympathisanten Marvin-Jörg Wildemann flog er nach erneuten rechten Äußerungen aus der Kneipe „Sonderbar“.

Lars Steinke (am linken Bildrand halb abgeschnitten),
Lasse Richei (graues Poloshirt), Robert Krüger-Zechlin (5.v.r.) und Philippe Navarre (1.v.r.) auf einer Demonstration der AfD unter dem Motto „Merkel muss weg“ am 21.04.18 in Salzgitter

Albrecht Diederichs (l.) und Robert Krüger-Zechlin (r.)

Lars Steinke (1.v.l.), Philippe Navarre (2.v.l.) und Robert Krüger-Zechlin (1.v.r.) am Geburtstag feiern in der „BiWi“

 

Hier gelangt ihr zum zweiten Teil der Recherche über die Göttinger Naziclique.