Im Dezember 2018 veröffentlichten wir einen umfassenden Überblick über die Göttinger Naziclique. Nach kurzer Ruhephase zu Beginn des Jahres 2019 tauchen die AktivistInnen aber schon seit einigen Wochen wieder vermehrt auf. Mit dem Studieren scheint es nicht besonders gut zu laufen, könnte man aus der Häufigkeit ihrer durchzechten Kneipennächte schließen. Vielleicht ist es aber auch die Gemeinschaft der Clique, deren Kern sich langsam aber deutlich um die von uns vorgestellten AktivistInnen herausstellt, oder die stetige Radikalisierung und Isolierung vom Rest der Gesellschaft, die die Mitglieder zusammenschweißt.
So oder so wird es Zeit für eine Fortsetzung unseres Überblicks. Einige neue Gesichter sind hinzugekommen, andere sind durch neue Übergriffe und Aktionen auffällig geworden. Seit Dezember sind einige Vorfälle geschehen, die wir hier zusammenfassen wollen. Es sieht leider nicht danach aus, als ob die Naziclique schon besiegt ist. Antifaschist*innen in Göttingen sind aber auf einem guten Weg, wie erste Aktionen gegen die Gruppe zeigen. Macht weiter so! Vielleicht können wir in Teil 3 dann schon das Ende der Göttinger Naziclique verkünden. Antifa heißt Angriff!
Einführend möchten wir nochmal auf unsere Einordnung der Gruppe aus unserem ersten Text verweisen: „Die Einordnung der Aktivisten ist nicht ganz einfach. Viele sind Mitglieder der AfD und ihrer Nachwuchsorganisation, der Jungen Alternative. Sympathien gegenüber der Identitären Bewegung haben alle. Gleichzeitig gibt es gefestigte Beziehungen zu lokalen Neonazi-Größen der alten Schule aus der Region, etwa zum NPD-Kader Thorsten Heise. Ob die Gruppe lieber rechts-konservativer AfD-Nachwuchs oder doch Möchtegern-Kameradschaft sein will, ist ihnen selbst wohl noch nicht klar. Zudem pflegen nicht alle Kontakte untereinander, doch sie eint ihr extrem rechtes Weltbild.“ Mittlerweile zeigt sich aber doch recht deutlich, welche Richtung der harte Kern der Gruppe geht: hin zu einer klassischen, militanten Neonazikameradschaft, welche über beste Kontakte in das direkte Umfeld von Thorsten Heise und zu ihm persönlich hat. Auch wenn sie inhaltlich immer noch neurechte Inhalte teilen, scheinen sie sich mehr und mehr von Akteuren wie der „Identitären Bewegung“ oder auch der Jungen Alternative zu entfernen. Dennoch bleibt ein Teil von ihnen Mitglied der Jungen Alternative, während sie auf persönlicher und aktivistischer Ebene die Kontakte zum Umfeld Thorsten Heises weiter verstärken und beispielsweise hinter dem Transpi der Kameradschaft Northeim in Dresden gelaufen sind.
Die Lieblingsbeschäftigung der Naziclique ist immer noch, sich abends in Kneipen in der Göttinger Innenstadt zu besaufen. Am 01. Februar 2019, einem Freitagabend, war eine Gruppe um Felix Leonhard Hauser, Robert Krüger-Zechlin, Philippe Navarre gemeinsam mit weiteren Personen in der Innenstadt unterwegs. Vermutlich feierten die Nachwuchs-Nazis zusammen den Geburtstag von Navarre, der an diesem Tag 25 Jahre alt wurde, und entschieden sich Ärger zu suchen. Sie besuchten die Göttinger Kneipen „Ade!“ und „Charly Maxx“. Zwischendurch spazierten sie durch die Rote Straße und sprachen vor dem dortigen Hausprojekt Personen an, ob sie Stress suchen würden.
Elf Tage später, in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar, stand die nächste Sauftour an. Wieder dabei waren Hauser, Krüger-Zechlin und Navarre. Dazu kamen einige weitere Personen, unter anderem Louisa Bredemeier und eine weitere Frau mit dunklen Haaren.
Gegen 3.15 Uhr am 13. Februar fiel die Gruppe in der linken Kneipe „Salamanca“ ein. Hauser und Navarre trugen dabei schlagkraftverstärkende Quarzsandhandschuhe. Die Nazis belästigten eine Mitarbeiterin und Kneipengäste und beleidigten diese homophob, konnten aber glücklicherweise aus dem Laden gedrängt werden. Draußen angekommen, zerrten und rüttelten sie an der verschlossenen Tür und machten sich und ihren Unmut lautstark bemerkbar. Wenig später tauchten sie vor einer anderen linken Kneipe, der „Sonderbar“ (kurz „S-Bar“) auf. Dort bedrohten sie zwei Personen und beleidigten sie unter anderem mit „Auschwitz“-Sprüchen. Einer der Neonazis hatte sich vor dem Laden bereits vermummt, was von einem der Gäste beobachtet wurde. Als aber mehrere Gäste gemeinsam in Richtung der Tür der Kneipe gingen, bekam die Nazi-Gruppe scheinbar Angst und flüchtete.
Womöglich fassen die Neonazis aber zunehmend mehr Mut, auch durch ihre Kontakte zum NPD-Kader Thorsten Heise, die sie in den letzten Wochen noch einmal ausbauen konnten. Bekannt ist mittlerweile zudem, dass Hauser bereits zum neonazistischen„Schild und Schwert“-Festival im sächsischen Ostritz am 2./3. November 2018 mit Heise-Sohn Nordulf Heise fuhr, dem unter anderem ein schwerer Überfall auf Journalisten mit möglicher Tötungsabsicht vor rund einem Jahr zugeschrieben wird. Unterwegs waren sie in Hausers silberfarbenem Ford Mondeo (Kennzeichen E-KL 990), der häufig von der Nazi-Clique inner- und außerhalb Göttingens benutzt wird.
Hauser war gemeinsam mit Paul Sass auch am 16. Februar 2019 zusammen auf einem neonazistischen Trauermarsch in Dresden. Dort liefen sie hinter dem Transpi der Kameradschaft Northeim, die von Heise mitgeführt wird. Auch über Paul Sass ist mittlerweile mehr bekannt. Er ist ist Mitglied im „FIZ“, dem Fitness-Studio des Sport-Zentrums der Göttinger Uni und dort öfters anzutreffen. In den Räumen des Sport-Zentrums sind in jüngerer Vergangenheit Schmierereien der „Identitären Bewegung“ angebracht worden. Sass Mitgliedsnummer beim AfD-Kreisverband Hildesheim ist mittlerweile auch bekannt: NI-021-10631713. Umso seltsamer bleiben seine Zahlungen an die JA Sachsen, die schon in unserem letzten Text erwähnt wurden. Er ist außerdem öfters in einem schwarzen VW Golf unterwegs.
Kim Dietrichsen
In der Nacht vom 21. auf den 22. Februar kam es dann zu einem schwerwiegenden Überfall der Naziclique. Zwischen 0 Uhr und 1 Uhr flog die Gruppe um Hauser, Navarre und Krüger-Zechlin aus der Kneipe „Trou“ in der Göttinger Innenstadt. Mit dabei waren vermutlich auch Sass und Kim Dietrichsen. Dietrichsen ist ebenfalls eine junge Neonazi-Aktivistin, die in der Nazi-WG in der Reinhäuser Landstraße 44 unter anderem mit Paul Sass wohnt. Sie kann als ideologisch absolut gefestigt verstanden werden und ist zentraler Teil der Naziclique. Dietrichsen ist auf der Reenactment-Instagram-Seite „die.blitzmaedchen“ zu sehen, wo sie für Fotoaufnahmen in Wehrmachtsuniform posiert.
Wieder einmal wurde die Bedienung der Kneipe an jenem Abend homophob beleidigt und auch angefasst. Anschließend zog die Gruppe unter anderem Richtung „Nauti-Bar“, „Salamanca“ und „Bierwirtschaft“. Im Laufe der Nacht verirrte sie sich wohl auch in die Rote Straße, die am nächsten Morgen von zahlreichen Aufklebern der „Jungen Nationalisten“, der Nachwuchsorganisation der NPD, übersät war.
Gegen 4.50 Uhr tauchten Teile der Gruppe mit Quarzsandhandschuhen bewaffnet in der „S-Bar“ in der Kurzen Straße auf. Sie griffen einen Gast bereits im Laden an, zerrten ihn und einen weiteren Gast, der dem Opfer zu Hilfe eilte, nach draußen und prügelten dort weiter auf diese ein. Die Betroffenen erlitten unter anderem Gesichtsverletzungen. Die Polizei nahm wenig später zwei Tatverdächtige in der Reinhäuser Landstraße fest. Laut „Göttinger Tageblatt“ erhielten zwei weitere Personen, ein 25-Jähriger und ein 28-jähriger, noch am gleichen Tag eine Hausdurchsuchung. Die in der Presse verkündeten Altersangaben lassen darauf schließen, dass es sich dabei um Navarre und Krüger-Zechlin handelt.
Ann-Marie Diederichs
Am 25. Februar fand in Northeim vor dem Amtsgericht ein Prozess gegen zwei Antifaschist*innen statt. Als Zeugin geladen war die 18-jährige Ann-Marie Diederichs, ebenfalls Teil der Göttinger Naziclique. Sie wohnt seit einigen Monaten im Guldenhagen 39, 37085 Göttingen und studiert seit dem laufenden Wintersemester Geschichte und Germanistik auf Lehramt an der Uni Göttingen. Ann-Marie Diederichs ist die kleine Schwester des uns bereits bestens bekannten Albrecht Diederichs. Die ehemalige Abiturientin aus Alfeld besucht in einer auffälligen Regelmäßigkeit rechte Szeneveranstaltungen und ist ideologisch trotz ihres jungen Alters bereits sehr gefestigt.
Am 11. März 2017 besuchte sie etwa einen sogenannten Trauermarsch der rechten Szene in Dessau zusammen mit dem Braunschweiger NPD-Schläger Lasse Richei und anderen Neonazis aus der Region. Nur zwei Wochen später, am 25./26. März 2017, war sie auf dem sogenannten Frühjahrsplenum des neonazistischen „Antikapitalistischen Kollektiv“ in Halle/Saale. Sie reiste zusammen mit den Aktivisten des „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ Jens Wilke und Jan-Philipp Jaenecke an. Sie nahm außerdem am 06. Mai 2017 am von Thorsten Heise organisierten Eichsfeldtag, einem NPD-Fest im thüringischen Leinefelde, teil.
Ann-Marie Diederichs in Themar am Stand des TddZ
Beim „Rock für Identität“-Festival Tommy Frencks am 29. Juli 2017 in Themar betreute Diederichs zusammen mit ihrem Ex-Freund Joost Nolte den Infostand für den „Tag der deutschen Zukunft“ 2018 in Goslar, ein bundesweiter, jährlich stattfindender Neonazi-Aufmarsch. Mit dem aus Goslar stammenden Joost Nolte war sie nach eigenen Angaben von Mai bis September 2017 zusammen. Nolte ist einer der führenden Neonazis in der Harzregion und galt als einer der Anführer der Gruppierung „Kollektiv Nordharz“, die später im „Kreisverband Süd-Ost-Niedersachsen“ der Partei „Die Rechte“ aufgegangen ist.
Am 2./3. November 2018 besuchte Diederichs wie viele andere aus der Naziclique auch das Neonazi-Festival „Schild und Schwert“ in Ostritz. Das gleiche gilt für ihre Teilnahme am Neonazi-Trauermarsch in Dresden am 16. Februar 2019.
Ann-Marie Diederichs (r.) und Louisa Bredemeier (l.)
Diederichs ist gut mit Louisa Bredemeier befreundet, mit der sie immer wieder in sozialen Netzwerken posiert und sich gegenseitig verlinkt. Auch Ida Heise, Tochter von Thorsten Heise, wurde bereits in einer ihrer Instagram-Storys verlinkt. Auch Diederichs tritt auf der Instagram-Seite „die.blitzmaedchen“ in Wehrmachtsuniform auf.
Vor Gericht in Northeim leugnete Diederichs ihre Neonazi-Kontakte und -Aktivitäten fast vollständig. Sie erklärte, sie sei Anhängerin der CDU. Ihre intensiven Kontakte und ihre Teilnahme an politischen Veranstaltungen weit rechts von der CDU hatte sie vergessen oder alberne Ausreden parat.
Am 01. März 2019 kam es laut einem Schreiben im Internet zu einer „Antifaschistischen Hausdurchsuchung“ in der Nazi-WG in der Reinhäuser Landstraße 44 (https://barrikade.info/Antifaschistische-Hausdurchsuchung-in-Nazi-WG-in-Goettingen-1956). Darin wurden neue brisante Informationen über Teile der Nazi-Clique bekannt gemacht. Neben diversen Nazi-Devotionalien und historischen Fotografien aus dem Nationalsozialismus, werden auch diverse Waffen, die in der Wohnung gefunden wurden, gezeigt. Darunter befinden sich ein Pfefferlöscher und eine Pistole. Sie verdeutlichen das große Gewaltpotential, das von der Nazi-Clique ausgeht. Die Gruppe sucht nicht nur Auseinandersetzungen und gibt sich gewaltbereit, sondern ist offensichtlich bereits bewaffnet.
Für dieses Gewaltpotential sprechen auch ebenfalls veröffentlichte, an Sass gerichtete polizeiliche Vorladungen, die vermuten lassen, dass dieser in der Nacht vom 23. auf den 24. November 2018 an einem gewalttätigen Angriff auf zwei Männer in Göttingen beteiligt war. Die Polizei führt Sass als Beschuldigten einer gefährlichen Körperverletzung. Laut Presseberichten wurden dabei zwei Personen von zwei Männern und einer Frau homophob beleidigt und mit einer Metallstange attackiert und schwer verletzt. Es ist wohl davon auszugehen, dass auch weitere Mitglieder der Nazi-Clique beteiligt waren.
Am Samstag, den 23. März, war das Ziel der Truppe wieder einmal Ostritz, wo ein Rechtsrockkonzert mit mehreren Hundert Teilnehmenden stattfand. Zu Gast waren auch Paul Sass, Felix Leonhard Hauser, Philippe Navarre und Kim Dietrichsen. Während der Veranstaltung wurden Polizei und Presse körperlich attackiert: Mittendrin: Unser alter Bekannter Thorsten Heise.